J. Zimmerer u.a. (Hgg.): Der Kolonialkrieg (1904-1908) in Namibia

Cover
Titel
Völkermord in Deutsch-Südwestafrika. Der Kolonialkrieg (1904-1908) in Namibia und seine Folgen


Herausgeber
Zimmerer, Jürgen; Zeller, Joachim
Erschienen
Anzahl Seiten
276 S., 100 Abb.
Preis
€ 22,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Peter Schaefer, Jena

Vor 100 Jahren begann der Krieg gegen Herero und Nama in Deutsch-Südwestafrika, ein besonders dunkles Kapitel der deutschen Kolonialgeschichte. Auf verdienstvolle Weise nutzen die Autoren des hervorragend illustrierten Buches die verstärkte Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit für dieses Thema zu einer lesenswerten historischen Aufarbeitung der Ereignisse, Zusammenhänge und Folgen des wohl schlimmsten deutschen Kolonialkrieges. Die beiden Herausgeber und die 12 anderen Autoren sind in der Mehrzahl ausgewiesene Kenner der Kolonialgeschichte bzw. der Geschichte Namibias. Einleitend skizziert Gesine Krüger die Situation in Namibia während des 19. Jahrhunderts und beschreibt die Herero-Gesellschaft nomadisierender Viehzüchter „als Gesellschaft von Rinderhaltern par excellence“ (S. 18). Anschließend widerlegt Jürgen Zimmerer die Auffassung, Deutsch-Südwestafrika sei ein kolonialer Musterstaat gewesen und beleuchtet die seitens der deutschen Kolonialverwaltung angestrebte Rassentrennung.

Im nächsten Komplex des thematisch geordneten Buches wird der Kolonialkrieg von 1904 – 1908 behandelt, einer „der blutigsten und zerstörerischsten Kolonialkriege der Geschichte“ (Jürgen Zimmerer, S. 45), der heute in der historischen Forschung allgemein als Genozid bewertet wird. Bei der Niederwerfung der Hereros, die auf deutscher Seite mit einem zynisch dokumentierten Vernichtungswillen gegenüber diesem Volk betrieben wurde, hetzten Offiziere und Mannschaften der deutschen „Schutztruppe“ die besiegten Herero, Männer, Frauen und Kinder in das wasserlose Gebiet der Omaheke-Wüste, wo sie auf elende Weise starben. Diese „humanitäre Katastrophe“ (S. 51) kostete einige 10.000 Hereros das Leben, zumal ein beträchtlicher Teil der Angehörigen dieses Volkes in Konzentrationslagern interniert wurde, in denen es eine hohe Sterberate gab. Das Leiden in den Konzentrationslagern in Swakopmund und auf der Haifischinsel wird von Joachim Zeller und Casper W. Erichsen in zwei gesonderten Beiträgen sichtbar gemacht, wobei die Fotodokumente aus den Lagern eine besondere Beachtung verdienen.

Zimmerer u.a. Autoren verweisen auf den Zusammenhang von Völkermord in Deutsch-Südwestafrika mit den Massenverbrechen im Dritten Reich, insbesondere mit dem Holocaust. Diese Analogie soll nicht bestritten werden, doch schiene es mir wichtig, die deutschen Kolonialgräuel jener Zeit mit den gleichzeitigen Untaten anderer Kolonialmächte Europas und Übersees in einen Zusammenhang zu stellen, so etwa mit den Kongogräueln König Leopold von Belgiens, mit der Praxis der britischen Kolonialherrschaft in Indien oder der Niederwerfung der philippinischen Befreiungsbewegung unter Aguinaldo durch die USA in der Zeit Präsident McKinleys. Die ersten Konzentrationslager wurden – was vielleicht doch hätte stärker thematisiert werden müssen – um die Jahrhundertwende durch Spanien in Kuba, Großbritannien in Südafrika und den USA auf den Philippinen errichtet, bevor dann auch die deutsche Kolonialmacht sich dieses Mittels zur Sicherung kolonialer Herrschaft bediente.

Mit besonderer Aufmerksamkeit, ja Spannung wendet man sich der Lektüre des folgenden Themenkomplexes zu, der „Leid, Widerstand und Neubeginn: Die afrikanische Perspektive“ überschrieben ist. Nochmals werden darin die soziokulturelle Entwicklung der Herero-Gesellschaft vor dem Kriege sowie die Folgen der Kolonisierung untersucht (Jan-Bart Gewald). Es folgt die Beschreibung des parallel im Süden der Kolonie als Guerillakrieg für beide Seiten verlustreich geführten Krieges der Nama (Werner Hillebrecht). Gesine Krüger ist mit einer weiteren detaillierten Studie zum Thema „Bestien und Opfer: Frauen im Kolonialkrieg“ vertreten. „Frauen waren in die Kämpfe verwickelt, sie gehörten zu der in Kriegen immer auch betroffenen und bedrohten Zivilbevölkerung, und schließlich waren sie Mittelpunkt von Propaganda und Phantasieprodukten.“ (S. 142) Dabei nimmt Krüger besonders die Gräuelpropaganda der Kolonialmacht in den Blick, welche die Herero-Frauen „als rachedurstige und entfesselte Bestien“ schilderte (S. 150).

Der letzte Komplex des Buches „Erinnern und Vergessen“ wendet sich einer heute bevorzugten Forschungsproblematik zu, der Erinnerungskultur in Namibia und der unterschiedlichen Einstellung zum Krieg von 1904 bei Afrikanern und weißen, oft deutstämmigen Siedlern. Dabei gerät die Beerdigung des Herero-Chiefs Samuel Maharero 1923 in Okahandja (Jan-Bart Gewald) zu einer aufschlussreichen Fallstudie für die Bedeutung des Totenkults in kolonial unterdrückten Ländern. Das Begräbnis wurde nämlich zum Ausgangspunkt einer neuen Herero-Identität, einer neuen Erinnerungstradition dieses Volkes. „Die Beerdigung“, bestätigt auch Gesine Krüger, „war eine Rückeroberung eines historischen Ortes, eine machtvolle politische Demonstration und eine spirituelle Bestätigung der Nation.“1

Joachim Zeller macht in diesem Komplex Anmerkungen zur kolonialdeutschen Erinnerungskultur, wobei er sich hauptsächlich den in der Kolonie bzw. in Deutschland errichteten Denkmälern als Teil dieser Erinnerungskultur zuwendet. Sein Verdikt, die deutsche Geschichtsschreibung habe nach 1945 der Vernichtung der Herero und Nama kaum Aufmerksamkeit gewidmet (S. 198) gilt wohl für die ersten Nachkriegsjahrzehnte der Geschichtsschreibung in der Bundesrepublik, für die Geschichtsschreibung in der DDR trifft diese Aussage nicht zu. Ich war als junger Historiker in den 1950er-Jahren Zeuge, wie der aus der englischen Emigration zurückgekehrte Helmut Stoecker (1920-1994) am Institut für Allgemeine Geschichte der Humboldt-Universität eine kolonialgeschichtliche Arbeitsgruppe ins Leben rief, deren damalige Veröffentlichungen zu den deutschen Kolonien in Afrika – trotz ihrer weltanschaulich-methodischen Einseitigkeiten – noch heute von Belang sind. 2

Der Rostocker Historiker Horst Drechsler veröffentlichte einige Zeit später, gestützt auf Akten des Reichskolonialamtes, eine erste kritische Arbeit zum Krieg der Herero und Nama von 1904 bis 1907.3 Zu erwähnen wären schließlich die in Leipzig in den 1950er-Jahren beginnenden kolonialgeschichtlichen Studien Walter Markovs und seiner Schüler.

Als letzter Autor kommt Andreas Eckert zum Thema „Namibia – ein deutscher Sonderweg in Afrika?“ zu Wort. Sein Beitrag wirft einige generelle Fragen des Krieges von 1904 bis 1908, seines historischen Kontextes und seiner internationalen Einordnung auf. Man kann ihm nur zustimmen, wenn er den Krieg des kaiserlichen Deutschlands gegen Herero und Nama „zu den dunkelsten Kapiteln des europäischen Kolonialismus in Afrika“ zählt (S. 231). Ebenso stimmt der Rezensent ihm zu, wenn er diesen Krieg mit seiner deutscherseits gewollten Brutalität nicht als einen „kolonialen Sonderweg“ des Deutschen Reiches, also gewissermaßen als einen kolonialen Ausnahmefall wertet, sondern auf die Ängste und das Gewaltpotential „kolonialer Siedlergesellschaften“ (S. 236) zurückführt. Dieses Potential habe sich auf ähnlich totalitäre Weise wie in Deutsch-Südwestafrika 1904 im Mau-Mau-Krieg der britischen Kolonialmacht in Kenia in den 1950er-Jahren manifestiert.

An dem insgesamt lobenswerten Buch waren noch weitere Autoren, darunter Ulrich van der Heyden („Die ‚Hottentottenwahlen’ von 1907“), beteiligt. Der Sammelband spiegelt den heutigen Stand der Forschung zum Krieg von 1904 wider. Er verbindet eine kritische kolonialgeschichtliche Sicht auf die Ereignisse mit dem Blick auf die afrikanische Perspektive, d.h. er erfasst auch das quellenmäßig weniger sichtbare Handeln und Sein der Herero und Nama und betrachtet ihre Rolle nicht lediglich als Objekt der Kolonialpolitik. Dabei werden sowohl soziokulturelle als mentalitätsgeschichtliche Fragestellungen eingebracht. Reserven der Darstellung des Sammelbandes bestehen – abgesehen vom letzten Kapitel – in der nur ansatzweise erfolgenden komparativen Berücksichtigung der Vorgänge und Zustände der Kolonialpolitik anderer europäischer und überseeischer Mächte zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Herausgebern und Autoren ist zu danken, dass sie mit ihrer Wortmeldung sowohl für die weitere kolonialgeschichtliche Forschung als auch für die künftige Geschichte Südafrikas – nicht zuletzt im Blick auf ein noch zu schreibendes „Schwarzbuch des Kolonialismus“ - einen wichtigen Beitrag geleistet haben.

Anmerkungen:
1 Krüger, Gesine, Kriegsbewältigung und Geschichtsbewusstsein. Realität, Deutung und Verarbeitung des deutschen Kolonialkrieges in Namibia 1904 bis 1907, Göttingen 1999, S. 216.
2 Zu Stoecker vgl.: Kessler, Mario, Afrikawissenschaften in der DDR, in: Potsdamer Bulletin für Zeithistorische Studien 30/31 (Jan. 2004), S. 80ff. Ähnlich wie Zeller äußert sich auch Eckert, S. 226 des rezensierten Bandes.
3 Drechsler, Horst, Südwestafrika unter deutscher Kolonialherrschaft. Der Kampf der Herero und Nama gegen den deutschen Imperialismus (1884-1915), Berlin 1966.

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